Eine einzigartige Groß-Lysimeter-Anlage des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) in Nordrhein-Westfalen soll modernisiert und erneuert werden. Die Messanlage, die zwischen 1962 und 1964 in St. Arnold auf dem Grundstück der Stadtwerke Rheine zwischen der Emsdettener Straße und der Straße „Zum Angelsee“ errichtet wurde, befindet sich in einem Dornröschenschlaf und steht vor einer umfangreichen Umbaumaßnahme. Die Groß-Lysimeter-Anlage, die einzige vom LANUV betriebene ihrer Art in NRW, hat eine spannende Geschichte. Sie wurde von August Flender in den Jahren von 1962 bis 1964 entworfen. Der Ingenieur fertigte seinerzeit ein präzises Modell im Maßstab 1:50 an, das von seinem Detailreichtum her durchaus geeignet wäre, einen Platz im berühmten Miniaturwunderland in Hamburg einzunehmen. Die Anlage diente ursprünglich der wissenschaftlichen Erfassung von Boden- und Wasserprozessen und ist bis heute ein einzigartiges Instrument für die Umweltforschung.
Modernisierungskosten im siebenstelligen Bereich
Das geplante Projekt der Wiederbelebung der Anlage begann bereits vor vier Jahren. In einem Projekt, das mit Kosten in siebenstelliger Höhe geplant ist, sollen die Messstationen komplett erneuert und digitalisiert werden. Ziel ist es, das gesamte Messnetz auf den neuesten Stand der Technik zu bringen. Die Modernisierung wird durch finanzielle Mittel des Landes ermöglicht, die für dieses Vorhaben generiert werden konnten. Die Anlage reiht sich in eine Tradition bedeutender Forschungseinrichtungen ein. Neben dem Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut in Braunschweig und der Groß-Lysimeter-Anlage in Eberswalde ist die NRW-Anlage ein wertvolles Werkzeug für die Umweltwissenschaft. „Diese Lysimeteranlage läuft aktuell noch, ist aber sehr in die Jahre gekommen“, erklärte Fachgebietsleiterin Vera Schimetzek (Hydrometereologie beim LANUV) bei einem Pressetermin am Donnerstag in St. Arnold. „Die Datendecke wurde dann an der einen oder anderen Stelle schon mal etwas dünner“, ergänzte sie. Im Jahre 2023 stand die Anlage zur Messung von Grundlagendaten fast vor dem endgültigen Aus. Mit dieser rund 60 Jahre alten Anlage kann man unter definierten Bedingungen Messdaten erfassen und abbilden.
Ein Kleinod für die Wissenschaft
Von dieser Groß-Lysimeteranlage gibt es weltweit nur noch sechs Anlagen mit Baumbewuchs. „Eine derartige Anlage mit Baumbestand ist etwas sehr Seltenes, das ist für die Wissenschaft ein Kleinod hier in St. Arnold“, schwärmte Schimetzek. „Wir messen alles an Wasser, was vom Himmel kommt“, sagte die Fachgebietsleiterin. „Zukünftig auch noch in fester Form, also Schneemessungen und Feuchte-Lufttemperaturmessungen werden wir einrichten“, ergänzte Schimetzek. Besonders stolz ist sie auf den umfangreichen Fundus der Messergebnisse. Die Anlage hat 60 Jahre konstant Daten geliefert, das ist von unschätzbarem Wert, das hat kein anderer“, erklärte sie. Landesweit gibt es in NRW rund 300 Messstationen mit Niederschlagsdaten. Darüber hinaus sind noch ca. 20 bis 24 Klimastationen geplant, mit denen weitere Parameter gemessen werden können: Wind, Strahlung und Luftdruck.
Enge Zusammenarbeit mit dem Deutschen Wetterdienst
Das LANUV arbeitet eng zusammen mit dem Deutschen Wetterdienst (DWD). Die erhaltenen Daten dienen dem Hochwasserschutz (Hochwasserwarndienst), Starkregenprävention, Landwirtschaft, Agrar, Forst, sowie auch den Versicherungen. In den 1960er Jahren fanden in St. Arnold auch Abgrabungen statt. Hier war es wichtig für die Grundwasserneubildung zu erfahren, wieviel Wasser man entnehmen konnte, ohne dass das Grundwasser beeinflusst wird. Das war die eigentliche Geburtsstunde der Groß-Lysimeteranlage auf dem Grundstück der Stadtwerke Rheine, um genau das nachzubauen. Es gibt drei Flächen (jeweils 200 Quadratmeter): eine Wiesenfläche, eine Waldfläche mit Laubbäumen, vorrangig Buchen und Eichen sowie eine Fläche, die ursprünglich einen Fichten- und Kiefernadelbewuchs hatte. Hier hatte im Jahr 2007 das Sturmtief „Kyrill“ für einen großen Flurschaden gesorgt und diesen Kiefer- und Nadelbewuchs nahezu komplett vernichtet. Somit wurde diese Fläche der Natur überlassen und als Sukzessionsfläche gelassen. Daher sollte ohne menschlichen Eingriff die Vegetation ihren eigenen Weg zurückfinden. Dabei wurde beobachtet, wie sich der Wasserkreislauf wieder entwickelt hat. Daraus lassen sich auch anderswo bei größeren Flächen Rückschlüsse ziehen, wie lange es dauert, bis sich ein stabiler Wasserkreislauf einstellt und die Sickerwasserrate auch wieder konstant ist.
Erderwärmung in 60 Jahren um 1,8 Grad gestiegen
Richard Merker, einer der mit der Anlage vertrauten Techniker, betreut im Bereich Münster rund 40 Messstationen und ist rund einmal wöchentlich in St. Arnold anzutreffen. Bei dem Pressetermin zeigte er die Aufzeichnungen, aus denen u. a. ersichtlich wurde, dass am Messstandort in St. Arnold die Erderwärmung seit Beginn der Aufzeichnungen der Wetterdaten um rund 1,8 Grad gestiegen ist. 2024 war das wärmste Jahr mit den meisten Niederschlagsmengen von rund 1.500 Millimeter pro Quadratmeter. Das ist fast die doppelte Menge wie gewöhnlich und zeigt auch die Auswirkungen des Klimawandels.
Großes Interesse verschiedener Experten
Alles das, was man auf der Lysimeteranlage in St. Arnold oberirdisch sehen kann, hat den Charme eines „Lost Places“, eines vergessenen Platzes. Doch ein Großteil der Technik und der Faszination liegt unterhalb der Grasnarbe. Dort befinden sich unter den Messflächen drei Betonbecken als Auffangbecken mit jeweils 20 x 20 x 3 Metern (Breite x Länge x Tiefe). Diese Betonbecken bleiben erhalten; lediglich die Infrastruktur und die Technik drumherum werden erneuert und auf den aktuellen Stand gebracht. Im Sickerwasserkeller werden die aufgefangenen Wassermengen gemessen und die Daten entsprechend ausgewertet; aktuell noch mit Druckkopf, Tinte und Papier. Etwas „old school“, aber das soll sich demnächst mit dem digitalen Messverfahren ändern. Wenn die Anlage nunmehr modernisiert und digitalisiert ist, steht zukünftig Interessierten der Hochschulen, Universitäten, Studierenden aus allen Bereichen und interessierten Ingenieur-Büros zu Besichtigung offen; erste Anfragen dazu erreichen den LANUV fast täglich. Gernot Klammler von der Firma JR-AquaConSol aus Graz, Österreich, begleitet die umfangreichen Modernisierungsmaßnahmen, welche durch die Hochschule Hof und Firma HST Systemtechnik GmbH & Co. KG aus Meschede umgesetzt wird. Das Projekt soll im Jahre 2025 abgeschlossen werden.
Ein Drittel des Niederschlags versickert
Fachmann Klammler erklärte, dass rund ein Drittel des Niederschlagswassers in der Erde versickert und rund zwei Drittel wieder zurück in die Atmosphäre gehen über Evaporation und Transpiration. Kammler zeigte sich mit Blick auf die vorhandene Anlage fasziniert darüber, dass „Altbewährtes“ so lange hält. „Das ist schon ne‘ coole Sache. Heute ist vieles elektronisch“, sagte Klammler.
[mapsmarker marker=”202″]