Das Prozedere war wie immer am Sonntag vor der Karnevalswoche. Nur der Ort nicht. Kurz vor elf Uhr trafen sie sich alle – die Neuenkirchener Narren, die Spielmannszüge, Tanzgarden, Elferräte, Prinzessinnen und Prinzen mit Kasper und Zepter aus Sutrum Harum, Landersum, Offlum, Heithoek, Dorfbauerschaft, Sankt Arnold. Ihr Begehr: dem Bürgermeister Franz Möllering den Rathausschlüssel zu entreißen, zumal sie alle derzeit die Regentschaft über Neuenkirchen übernommen haben. Doch diesmal nicht am Rathaus! Sie wussten, dass Möllering sich dieses Jahr in der Aula der Emmy-Noether-Schule (ENS) aufhielt.

Um 11:11 Uhr war es soweit. Nachdem die VSG-Präsidenten Mike Wehmschulte und Tommy Brügge alle Prinzenpaare und Karnevalspräsidenten vorgestellt hatten, ging das Schlüsselgerangel los. Doch halt: vorher musste der erste Bürger Neuenkirchens arbeiten. „Franz, Du bist ganz falsch angezogen“, bemerkte Dirk Geißler, stellvertretender VSG-Vorsitzender. Sie steckten ihn kurzerhand in eine Bauarbeiter-Kluft und drückten ihm Schaufel und Schiebkarre in die Hand, damit er an den Mensa-Arbeiten mithelfen und so die Baukosten dezimieren kann.

Meinungen geteilt

Und während er noch Sand schleppte, versuchten sie, der stellvertretenden Bürgermeisterin Jutta ten Winkel den Schlüssel zu entreißen. Franz Möllering eilte noch zur Hilfe, jedoch – es half alles nichts. Gegenwehr war wie immer zwecklos. Ein bisschen Gerangel, so leicht wollten sie den Schlüssel der Macht nicht hergeben. Aber schließlich hielten Dirk Geißler, Mike Wehmschulte und Tommy Brügge die Trophäe in der Hand.

Es folgte ein buntes Potpourri der Neuenkirchener Tanzgarden, die vor dem begeisterten Publikum ihre lang einstudierten Tänze präsentierten. Von den Mini-, Kinder-, Junioren-, Senioren-, und Prinzengarden über Spaßgruppen wie den Landersumer LA Sisters, den Solo-Mariechen und Paaren bis zu den Roten Husaren waren sie alle vertreten.

Die Resonanz des neuen Konzepts, das Rathaus in die ENS zu verlegen, war bei Publikum und Aktiven erwartungsgemäß geteilt. „Die Entscheidung ist nicht in Stein gemeißelt, es war ein Versuch“, sagt Tommy Brügge. Wer weiß, vielleicht findet die Schlüsselübergabe im nächsten Jahr wieder vor dem Rathaus statt.

Die Umfrage endet am Aschermittwoch, 6. März 2019, um 12 Uhr.

Ein ausführlicher Bericht folgt in der kommenden Ausgabe des Mitteilungsblatts.

KOMMENTAR

Nicht mit Traditionen brechen

Den Sturm auf das Rathaus komplett an die Emmy zu verlegen, klingt nach einem Schildbürgerstreich. Natürlich ist besonders im Karneval Schabernack erlaubt, doch mit den alten Traditionen brechen geht zu weit. Sicherlich war es vor Jahren eine gute Idee, das anschließende Bühnenprogramm und das gesellige Miteinander ins Trockene zu verlegen. Alleine schon, um den Garden ihren Auftritt zu ermöglichen, schließlich haben sie monatelang fleißig trainiert. Oft genug wurde zuletzt das Bühnenprogramm am Rathaus aufgrund des Wetters abgesagt. Doch nun auch die Schlüsselübernahme auf die Schulbühne zu verlegen, ist nicht lustig – richtig traurig ist das. Karneval ist Tradition und Brauchtum. Dazu gehört, aus allen Richtungen in Kostümen und mit Pauken und Trompeten das Rathaus zu stürmen und die Macht für die letzten Tage im Karneval an sich zu reißen. Danach kann es ja zügig – und um die Messe im Gotteshaus nicht zu stören – über Umwege in die Aula zum gemeinsamen Feiern gehen, doch ein Rathaussturm ohne Rathaus ist ein Bruch mit den Traditionen. Hauptsache die Narren von der VSG bringen am Aschermittwoch den Schlüssel auch wieder dahin zurück, wo sie ihn herhaben – zur Emmy. | Stefan Klausing